[K]1 Zimmer Wohnung – Blog

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1. Wohnraum-Wut:

20. April 2021

Heute fand die erste, sehr direkte Antwort- Demo statt, um die desaströse Entscheidung den Mietenspiegel in Berlin zu kippen. Und die Menschen waren wütend. Die kleine Gruppe an Personen, die mit mir zur Demo gegangen war, näherte sich gerade im noch langsam laufenden Demozug der Hochbahnüberführung am Kottbusser Tor an. Wir waren relativ weit hinten gelaufen, in einem beruhigten, fast bedrückten Abschnitt. Doch hier am Kotti war die Stimmung, die auch schon davor weiter vorne zu hören war, sehr deutlich spürbar. Die Leute waren wütend. Nicht das übliche „Ich-bin-auf-einer-Demo-unterwegs-wütend“. Sondern das „wütend“ in dem unmittelbar auch Verzweiflung mitschreit. Ich sehe mehr als eine Person, die sich in Tränen aufgelöst an der Schulter eine*r Freund*in vergräbt. Wir kommen also gerade am Kotti an, als die sogenannten Unruhen von denen später in den Medien berichtet werden soll, gerade erst beginnen. Die Polizei beginnt gerade damit auszurufen, dass die Demonstrant*innen den Platz verlassen sollen, dass die Demonstration nun aufgelöst wird. Beinahe wie im Film habe ich nicht bemerkt wie das besonders laute Geschrei eigentlich anfängt oder wer eigentlich anfängt zu schubsen und die Menschen auseinander zu schieben und im nächsten Moment wieder zusammen zu drängen. Ich erinnere mich daran mehrmals von Polizei Ketten weggeschoben zu werden. Die Mission ist klar: Bleiben so lange es geht. Nicht mal für mich, aber vielleicht für die Person, Mitte 50, die ich vorhin habe weinen sehen. Ein bisschen so als würden wir der Verzweiflung einen temporären Wohnraum anbieten, weil der eigene gerade bedroht wird.

Nachtrag zum 20. April:
Topfschlagen als Protestinstrumentarium für Proteste rund ums Häusliche

Immer wieder auf Demos, die sich mit Politiken des Häuslichen beschäftigen, begegnet mir Topfschlagen als Protestklang. Wird dabei mit einem stereotypen Klischee der wilden Hausfrau gespielt, geht es um kollektive Klänge, die jede*r produzieren kann oder werden hier bewusst Innen- und Außen verschoben, ein kleiner Spalt hin zum politisch Persönlichen? Wie könnten andere kollektive, wütende Klänge klingen und erzeugt werden? Wie ganz leise, sanfte, erzählende? – Ein Staubsauger-Orchester, ein schreiender Kleinkinderchor, ein Besteck Schlagwerk bei einem Massenpicknick, ein Ensemble knarzender Türen, ein Fernseher Sprechchor, etc. 

01. Mai 2021: Das Recht auf Wohnraum und das Recht auf Demonstration
Tag der Arbeit. Wieder Demo, dieses mal ist die Ratio an Polizei und Demonstrant*innen noch absurder! Später wird berichtet werden, dass es zu Ausschreitungen gegenüber der Polizei kam. Was nicht berichtet wird, ist, dass auf 3 Demonstrant*innen 1 Polizist*in zur Demo kommt. Durchkommen zum eigentlichen Demo-Zug ist bereits kurz nach Beginn kaum noch möglich, das gesamte Gebiet rund um den angekündigten Demonstrationsverlauf wird weiträumig abgesperrt. Wir müssen uns nach 1 ½ Stunden ohne Durchkommen auf offiziellem Wege nach Neukölln durch einen Hinterhof schleichen, um an den endlosen Reihen von Polizeiautos vorbei zu kommen. Bei unserer Ankunft bei der Demo, ist der Zug zumindest an unserer Stelle auffällig ruhig. Es wird kaum Gerufen, alle warten, dass es voran geht. Die Demo wird schließlich aufgelöst bevor sie überhaupt starten darf. In den Medien wird anschließend von ausufernden Protesten berichtet, Titelbild ist eine verrauchte Straße mit einzelnen vermumten Polizist*inenn und Demonstrant*innen – scheinbare Kriegsgebiet. Wir bekommen davon nichts mit. Ich frage mich: Was haben Wohnraum und Arbeit gemeinsam? Und ist es Zufall, dass gerade jetzt nach den großen Demonstrationen wegen des Mietendeckels die 1. Mai Demo so vehement verhindert werden soll. 

(Quelle: “Das Neue Frankfurt – Internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung”, Verlag Heinrich Editionen, Frankfurt 2011)

2.  Wohn-Raum-Denken: Politiken des Häuslichen

05. Juni 2021

Im transkript Verlag ist erst im April der Sammelband Wohn Raum Denken erschienen. Der erste Versuch einer transdisziplinären Forschungsweise in die Politiken des Häuslichen. Wir haben den Sammelband zu Recherchezwecken bestellt. Bis er ankommt frage ich mich: Wenn es Politiken des Häuslichen gibt, kann ich dann auch von einer kollektiven Idee von Wohnraum ausgehen? Also gibt es den Topos Wohnzimmer, den Topos Küche, den Topos Schlafzimmer? Wie unterscheiden sich diese (Nicht-)Orte in den Vorstellungen einzelner Menschen und wir werden sie durch Architektur, wie durch Alltagskultur und Familienstrukturen beeinflusst? Wie könnten ein feministische Idee von Wohn-Zimmer aussehen? Wie würde ich mich an diesem Ort bewegen? Wie anders wäre er vom aktuellen Standard strukturiert? Und können wir kollektive Wohn-Raum Geschichten dieser Topoi zusammen erfinden?

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14. Juni 2021

Ich denke darüber nach, wie viele meiner Freund*innen eigentlich auf der Suche nach einer neuen Wohnung sind, aber nicht umziehen können, weil sie in Frankfurt in relativ zentraler Lage keine bezahlbaren Wohnungen finden können. So leben nicht selten 4 bis 5 Personenhaushalte in 3-Zimmer-Wohnungen, gerade hier in Bockenheim. Und dabei kann ich mich selbst auch nicht von dieser Wohnraum-Problematik freisprechen. Während solche Gespräche pandemiebedingt oft auf der Straße beim gemeinsamen Spazierengehen geführt werden, gehe ich an Häusern vorbei, auf denen Stimmen laut werden, die sagen:

Wie wäre es, wenn ein ganzer Chor von Menschen solche Sätze sänge? Was bedeutet es, mit einem Chor zu arbeiten, ihn zu inszenieren? Was bedeutet es, einen Chor, also eine Gruppe von Menschen anstatt eines Individuums, gemeinsam singen oder Sprechen zu lassen?

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01. Juli: Besichtigung Ernst May Musterhaus

Gerade komme ich von der Besichtigung des Ernst May Musterhauses in der Frankfurter Römerstadt. Das Haus soll Aufführungsort der Musiktheater-Performance [K]1 Zimmer Wohnung werden. Dafür treffe ich zunächst Philipp Sturm, Geschäftsführer der ernst may gesellschaft e.V.. Gemeinsam gehen wir den Weg vom sog. Forum Neues Frankfurt bis zum Musterhaus, welches sich inmitten einer noch heute belebten Wohnsiedlung befindet, die Ende der 1920er Jahre im Rahmen der Konzeption für das “Neue Frankfurt” gebaut wurde. …by the way: damals die erste vollelektrifizierte Wohnsiedlung Deutschlands! Dabei kommen wir u.a. an dem ehemals als sog. Junggesellenhaus konzipierten Gebäude in der Mithrasstraße vorbei. Die Architekt*innen des Neuen Frankfurt wollten Wohnraum schaffen, der alle gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt. So gab es neben typischen Einfamilien-Wohnungen und -Häusern auch Wohnhäuser für alleinstehenede, unverheiratete Frauen und Männer. …Der Weg zum Musterhaus führt uns weiter durch die Siedlung. Wir betreten einen begrünten Weg, an den zu beiden Seiten Gärten anschließen. Philipp Sturm erklärt mir, dass der Weg ursprünglich angelegt wurde, damit die Bewohner*innen der Häuser hier ihre Gartenabfälle aus den Gärten transportieren konnten, anstatt alles durch die Wohnhäuser durch auf die Straße tragen zu müssen. Nun betreten wir das Ernst May Musterhaus. Es ist ein Wohnhaus, welches heute als Museum dient. Dafür wurde es saniert und die typische Einrichtung der 1920er Jahre rekonstruiert bzw. Originalmöbel, Heizkörper, Küchengeräte usw. aus der Zeit angeschafft. Ich bin tief beeindruckt davon, wie hier auf 88 qm ein absolut komfortabler, bestens ausgenutzter und klug eingerichteter Wohnraum für max. 5 Personen geschaffen wurde, ohne dass je ein Gefühl der Enge aufkommen würde. Jede Ecke des zweigeschossigen Hauses ist gekonnt genutzt. Möbel sind so konzipiert, dass sie platzsparend und optisch ansprechend gestaltet sind. Die Kücheneinrichtung (eine sog. “Frankfurter Küche”) war damals schon als eingebaute Küchenzeile angelegt. Das wie ein herkömmliches Fenster aussehende Schlafzimmerfenster zum Garten heraus lässt sich in ein Panorama-Fenster aufffalten und damit komplett öffnen. Die Miete für dieses Haus, welches als Teil der Römersiedlung bereits Ende der 1920er Jahre eine Zentralheizung, Strom und Warmwasserzufuhr besaß (alles kein Standard zu dieser Zeit!), sollte nach ursprünglichem Plan von einem durchschnittlichen Arbeiterlohn bezahlbar sein. Leider wurden die Baukosten höher als erwartet, so dass es letztlich zu einem Mittelstands-Wohnhaus wurde. Dennoch bin ich stark beeindruckt von diesem Haus, das vor fast 100 Jahren gebaut und eingerichtet wurde und dabei heute noch mit aktuellen Wohnstandards mithalten kann. Ich mache viele Fotos und fahre danach wieder nach Hause, in meine 1960er Jahre Sozialbauwohnung mit der Frage im Kopf: Hat man bei der Konzeption dieses Wohngebäudes auf dem Wissen der Architekt*innen um Ernst May aufgebaut??

3. Kollektiv aller Mi(e)tbewohner*innen

15. Juli 2021:

Heute gebe ich die Schlüssel zu der Wohnung ab, in der ich in den letzten 4 Jahren gewohnt habe. Sie war für mich die erste Wohnung, die sich wie „meine eigene“ anfühlt. Wir haben hier immer zu zweit gewohnt, mit wechselnden Mitbewohner*innen. Ich bin die Person, die am längsten in der Wohnung war in den letzten 4 Jahren und frage mich heimlich: Wird diese Wohnung sich an mich erinnern?

Manchmal erscheint das Konzept eines gemieteten Wohnraumes absurd temporär. Ich muss an die Person am Kottbusser Tor denken, auf der Demo, die geweint hat und an meine Oma, die in den 1960er Jahren frisch aus der ehemaligen Sowiet Union nach Deutschland geflohen war und seither in immer der gleichen ehemaligen Sozialbau Wohnung wohnt. Mehr als 50 Jahre. Ich frage mich, was von ihr übrig bleiben wird. Ob eine Wohnung überhaupt jemals einen Menschen vergisst und ob ich vielleicht die die vor mir kamen immer noch unbewusst wahrnehmen kann… Unbekanntes Kollektiv aller Mi(e)tbewohner*innen vereint euch!

20. Juli 2021:

Definition: Alltags-Neo-Romantik:
Das Gefühl, das einem beim Anblick eines altbekannten, nostalgisch verklärten Alltagsgegenstandes in einer neuen Wohnung befällt. Vor dem Hintergrund per se nostalgisch designter Möbelstücke fügt das Objekt, oft ein nutzloses Dekoobjekt, sich mit einer ironisch-romantischen, radikal gebrochenen Zeitdiskontinuität so absolut gar nicht in das angestrebte homogene Gesamtensemble ein. Wegschmeißen ist aber auch keine Lösung.